Tag: 8. Januar 2020

Betriebsblindheit und Dienst-nach-Vorschrift – unterschätzte Problemfelder im HR Management

 

Herr Sacra, hat das HR Management von deutschen Unternehmen in den letzten 20 Jahren nicht große Fortschritte hinsichtlich der Professionalität gemacht?

Selbstverständlich hat sich HR von einer größtenteils verwaltenden Funktion zu einer zunehmend gestaltenden und das Kerngeschäft unterstützenden Funktion entwickelt. Dieser Prozess war richtig und konsequent. Die Probleme heutzutage haben auch nicht so sehr mit fehlenden Tools und mangelhaften Prozessen zu tun. Die Schwachstellen liegen tiefer – in der nationalen Kultur, die sich natürlich auch in der Unternehmenspolitik, der Strategie aber auch in der Einstellungspolitik widerspiegelt.

 

Ist es jedoch nicht so, dass der hohe Ausbildungsgrad und das deutsche Arbeitsethos wichtige Wettbewerbsfaktoren sind und maßgeblich zum großen Erfolg der hiesigen Unternehmen beigetragen haben? Schließlich gehört Deutschland zu den Exportweltmeistern.

Die Arbeitsmoral und –kraft deutscher Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer war in der Vergangenheit ein nicht zu unterschätzender Erfolgsfaktor der deutschen Wirtschaft und hat maßgeblich dazu beigetragen, dass Deutschland auch international wettbewerbsfähig bleibt. Mit dem Aufkommen einiger asiatischer Länder, insbesondere China, entwickelt die globale Wirtschaft in letzter Zeit eine immer größer werdende Dynamik. Die Anforderungen an Unternehmen und Belegschaft nehmen zu, sich im härter werdenden Wettbewerb zu behaupten. Die Wettbewerbsfähigkeit muss auch in Zukunft sichergestellt werden, möchte Deutschland seinen Platz als führende Industrienation nicht verlieren. Insbesondere sehe ich hier das HR Management gefordert, mit der Auswahl und Rekrutierung der richtigen Köpfe auch weiterhin den Erfolg der deutschen Unternehmen fortzuschreiben.  

 

Mit welchen Problemen ist denn HR konfrontiert, bzw. wie kann HR sicherstellen, dass auch zukünftig die deutschen Unternehmen erfolgreich wirtschaften können?

Die Anforderung verbunden mit einem zwingenden Umdenken hinsichtlich der Personalgewinnung steigt zunehmend angesichts des immer größer werdenden Mangels an geeignetem Führungs- und Fachpersonal. Es ist ein Phänomen deutscher Unternehmen, hauptsächlich Kandidatinnen und Kandidaten aus der eigenen Branche zu rekrutieren. Der Grund hierfür liegt in der deutschen Kultur, dem Vermeiden von Unsicherheit, wenn man die Kriterien von Hofstede in seinem Buch „Culture‘s Consequences“ zum Maßstab nimmt. Der Vorteil ist klar: eine geringere Einarbeitungszeit und damit geringere Kosten. Zudem erhofft man sich Know-how Transfer vom Wettbewerb. Die Gefahr eines Scheiterns des neu gewonnen Mitarbeiters, lässt sich vermeintlich minimieren. Unterschätzt wird jedoch die Gefahr, dass brancheninterne Prozesse und Routinen fortgeschrieben und nicht auf den Prüfstand gestellt werden. Routinen sind angenehm. Es ist bequem, die Dinge einfach so zu machen, wie sie schon immer gemacht wurden. Betriebsblindheit schleicht sich ein, ein Dienst-nach-Vorschrift und damit verbunden das bekannte „wir haben es schon immer so gemacht“. Die Innovationskraft des Unternehmens nimmt mittelfristig ab – Marktanteile gehen verloren und lassen sich nur schwer zurückgewinnen. Dies belegen auch eine Reihe an wissenschaftlichen Untersuchungen. Zunehmend erkennen die Unternehmen die Problematik und schlagen neue Wege ein. Beispielsweise hat einer unserer Mandanten – ein weltweit führender Technologiekonzern – bei der Vergabe eines Rekrutierungsmandats explizit darauf verwiesen, dass man für die Position des Multiprojektleiters (w/m/d) niemanden vom Wettbewerb haben möchte und zwar mit dem Argument, dass man die eigene Unternehmens-DNA durch neue Ideen und unkonventionellere Herangehensweisen auffrischen möchte. Gesucht wurden stattdessen Kandidatinnen und Kandidaten aus grundlegend anderen Branchen – gerne auch aus Start-up Unternehmen. Ungewöhnlich war auch hier, dass das technikgetriebene Unternehmen keinerlei Vorgaben zum Bildungshintergrund des künftigen Stelleninhabers machte. Einzig und allein wurden zu erfüllende Persönlichkeitsmerkmale definiert. Unserem Mandanten war bewusst, dass man hierdurch ein gewisses Risiko eingeht. Am Ende zeigte sich diese Vorgehensweise als Glücksgriff, denn von der neu rekrutierten Person wurden eine Vielzahl an vermeintlich bewährten Prozessen auf den Prüfstand gestellt und weiter optimiert.  Solche Anforderungsprofile sind bei deutschen Unternehmen jedoch weiterhin noch die Ausnahme. Kandidatinnen und Kandidaten werden immer noch zu oft nach dem alten Schema gesucht. Andere Nationen sind da schon deutlich weiter – mit durchweg guten Erfahrungen. Es ist noch jede Menge Überzeugungsarbeit seitens HR und Personalberatern zu leisten, hochqualifizierten Persönlichkeiten die Chance zu geben, ihre Ideen und Konzepte auch in artfremden Umfeldern einzubringen. Dies wäre meines Erachtens eine Möglichkeit, nicht nur dem sich verschärfenden Fachkräftemangel, sondern auch Betriebsblindheit und Dienst-nach-Vorschrift erfolgreich zu begegnen und die Innovationskraft deutscher Unternehmen weiter zu stärken.

 

Vielen Dank für das Interview, Herr Dr. Sacra!

 

Dr. Erik Sacra ist Partner der VESTIGA Consulting GmbH. Der promovierte Diplom-Kaufmann und Politikwissenschaftler verfügt über 20 Jahre Erfahrung bei der Besetzung von Fach- und Führungspositionen im In- und Ausland. Schwerpunktmäßig ist er im Automotive- und Industriebereich tätig. Aufgrund seiner Internationalität und Expertise wurde er immer wieder mit Problemen konfrontiert, die sich auch im Zuge der Digitalisierung und Globalisierung nur langsam zu ändern scheinen.